Freitagabend, 19:53 Uhr: Großalarm für die Rettungskräfte im Raum Cham. Die Erstmeldung: "Schwerer Verkehrsunfall mit mehreren Verletzen auf der B20 zwischen den Anschlussstellen Cham-Süd und Cham-Mitte". Die Chamer Feuerwehr hat an diesem Abend Schulung. Fast alle aktiven Kameraden sind bereits in der Wache, rücken mit der Geschwindigkeit einer Berufsfeuerwehr aus. Keiner weiß, was sie am Unfallort erwarten wird. Keiner weiß, dass viele von ihnen später sagen werden, dass sie diesen Abend nie vergessen werden. Keiner weiß, dass Gaffer zum Unfallort regelrecht pilgern.
20 Uhr: Die Feuerwehrkräfte sind am Unfallort, der – wie es ein Polizist später sagen wird – einem "Schlachtfeld" gleicht. Sechs Fahrzeuge sind in den Unfall verwickelt. Die Lage: unübersichtlich. Trotzdem bewahren die Einsatzkräfte Ruhe, strahlen Souveränität in Momenten aus, in die keiner kommen will. Mit schwerem Gerät – Rettungsspreitzer und Rettungsschere – befreien sie fünf eingeklemmte Personen aus den Wracks der Autos. Wenn man als Reporter die Feuerwehrler später etwas frägt, dann erzählen sie jeweils nur von dem Auto, bei dem sie geholfen haben. Alles andere haben und mussten sie ausblenden.
Nach und nach werden die Verletzten geborgen. Viele von ihnen haben zum Glück nur leichtere Verletzungen, müssen aber trotzdem versorgt werden. Dutzende Rettungswagen und Ärzte – nicht nur aus dem Landkreis Cham – sind an der Unfallstelle. Zwei Rettungshubschrauber, einer aus Regensburg und einer aus Nürnberg, stehen in einem Feld neben der Straße. Das Bayerische Rote Kreuz ist mit einem extra Einsatzleitungswagen vor Ort. Er dient der Koordination. Wie viele Personen verletzt sind, das kann zu diesem Zeitpunkt trotzdem noch keiner sagen. Verständlich in einer derartigen Situation. Rettungsdienstleiter Michael Daiminger müsste an einem solchen Abend eigentlich tausend Ohren haben.
Während die Rettungskräfte nicht wissen, wo sie zuerst helfen sollen, versammeln sich immer mehr Gaffer rings um die Unfallstelle. Es sind Männer und Frauen. Viele zücken ihr Smartphone, machen Fotos. In einem Feldweg, der etwa 50 Meter von der Unfallstelle entfernt ist, herrscht Verkehr – ja man könnte fast sagen – wie auf einer Hauptstraße. Autos fahren auf und ab. Ein Feuerwehrmann regt sich auf: "Kann die bitte wer wegschicken. Das kann es doch nicht sein." Ein Polizist greift später durch, zeigt Grenzen auf und erntet damit viel Zuspruch von den anderen Einsatzkräften.
Am schwersten verletzt ist eine 32-jährige Mutter aus dem Rodinger Raum. Die Ärzte kämpfen im Rettungswagen um ihr Leben. Er steht direkt dem VW Lupo steht, in dem sie beim Unfall auf dem Beifahrersitz gesessen hatte. Aber die Reanimationsmaßnahmen sind ohne Erfolg. Wenig später sind bereits zwei Notfallseelsorger vor Ort. Sie werden sich um die Angehörigen kümmern. Die Tote ist Mutter zweier Jungen. Einen davon wollte sie am Samstag vom Skilager abholen. Der Chammünster Pfarrer Josef Schemmerer eilt noch am späten Abend zum Unfallort. Er betet mit den Einsatzkräften für die Verstorbene. Und er segnet die Retter: Denn auch wenn sie der Frau nicht mehr helfen konnten, "sie haben trotzdem einen Akt der Nächstenliebe vollbracht."
Die anderen 18 Verletzten, darunter vier Kinder, kommen alle ins Krankenhaus. Unter ihnen sind fünf Personen schwer- bis schwerstverletzt sind, das meldet die Polizei am Samstag um 00.50 Uhr. Bei zwei Menschen konnte auch am Samstagvormittag Lebensgefahr noch nicht ausgeschlossen werden. Der Unfallhergang wirft dagegen auch am heutigen Montag noch immer Rätsel auf: Die Erstmeldung, nach der ein vollbesetzter BWM mit einem entgegenkommenden VW Lupo kollidierte, wurde von der Polizei Cham inzwischen revidiert. Der Gutachter könne laut Polizei den Unfall bisher noch nicht vollständig rekonstruieren. Mehr Informationen dazu heute Abend im TVA-Journal.
MK / ER /pm