Fr, 16.08.2013 , 13:52 Uhr

Organspende-Skandal: Arzt steht ab Montag vor Gericht

 

Ein Oberarzt der Uniklinik Göttingen soll Patientendaten manipuliert haben, um schneller an Spenderorgane zu kommen. Für andere Schwerkranke bedeutete dies den Tod, meint die Staatsanwaltschaft. Am Montag beginnt der Prozess.

Der  Transplantations-Skandal hat das Vertrauen in die Organspende in Deutschland erschüttert. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den leitenden Oberarzt der niedersächsischen Universitätsklinik vor gut einem Jahr gingen die Spenderzahlen in den Keller. Es scheint, als sei eine Lawine ins Rollen gekommen: Wie in der Folge bekanntwurde, sollen auch in Regensburg, München und Leipzig in Transplantationszentren Patientendaten manipuliert worden sein. Politik und Ärzteschaft beschlossen ein Reformpaket mit schärferen Kontrollen.

Der Arzt, der als Erster als mutmaßlicher Betrüger aufflog, muss sich von diesem Montag an (19. August) vor dem Landgericht Göttingen verantworten. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft dem 46-Jährigen vor, er habe seine auf Spenderlebern wartenden Patienten kränker gemacht, als sie waren, und sie zudem fälschlicherweise als Dialysepatienten ausgegeben. Dadurch sollten sie auf der Warteliste bei der Vergabeorganisation Eurotransplant nach oben rücken.

Laut Anklage ist dies in elf Fällen gelungen. Dabei habe der Mediziner billigend in Kauf genommen, dass andere schwer kranke Patienten kein Spenderorgan erhielten und deshalb möglicherweise starben. Die Staatsanwaltschaft sieht darin versuchten Totschlag. Seit Januar sitzt der Mediziner in Untersuchungshaft. Sein Anwalt wollte aktuell vor dem Verfahren nichts sagen.

In der 156 Seiten dicken Anklageschrift werden dem Arzt zudem drei weitere Fälle vorgehalten, in denen er Lebern übertragen haben soll, obwohl dies medizinisch nicht angezeigt war. Die Patienten, die mittlerweile gestorben sind, seien darüber nicht aufgeklärt worden. «Die Staatsanwaltschaft wertet dies als Körperverletzung mit Todesfolge», sagt Sprecherin Nicola Kreuzer. Die Ermittlungen gegen vier weitere Mediziner des Göttinger Klinikums, die in die Machenschaften verwickelt gewesen sein sollen, dauern noch an.

Gegen den 46-Jährigen laufen zudem weitere Ermittlungen in Bayern. Er soll an seiner früheren Arbeitsstätte am Uniklinikum Regensburg in den Jahren 2004 bis 2006 ebenfalls Patientendaten manipuliert haben, um schneller an Spenderorgane zu kommen.

Derzeit hoffen rund 11 000 Kranke bundesweit auf ein Organ – viele vergeblich. «Sie sterben, bevor sie ein Spenderorgan bekommen können», sagt Birgit Blome von der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Nach dem Auffliegen der Vorgänge an den Kliniken bei der Vergabe hat die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende nachgelassen. Die Zahl der Spender sank seither um fast 20 Prozent. Im ersten Halbjahr 2012 gab es bundesweit 562 Spender, im ersten Halbjahr 2013 nur noch 459. «Die Leidtragenden sind die Patienten auf den Wartelisten», sagt Blome.

Die Göttinger Richter haben jetzt viel Stoff zu bewältigen. «Die Prozessakten füllen 35 Umzugskartons», sagt Gerichtssprecherin Cornelia Marahrens. Und auch rechtlich dürfte der Fall kompliziert werden. Denn das Gericht betritt nach Ansicht von Experten juristisches Neuland. Die Staatsanwaltschaft werfe dem Arzt versuchten Totschlag vor, könne aber nicht eindeutig benennen, wer die Opfer sind, sagt der auf Strafrecht in der Medizin spezialisierte Juraprofessor Gunnar Duttge von der Uni Göttingen. «Das ist ein großes Problem.» Auch Verteidiger Steffen Stern hatte den Vorwurf des versuchten Totschlags kurz nach der Festnahme des Arztes im Januar als «juristisch fragwürdig» bezeichnet.

Das Landgericht Göttingen hat für den Prozess zunächst 42 Verhandlungstage bis Mai 2014 angesetzt. Dazu lud die Kammer vorerst 30 Zeugen. Hinzu kommen sechs medizinische Sachverständige. «Das Interesse an dem Verfahren ist riesig», sagt Gerichtssprecherin Marahrens. «Die 30 Sitzplätze für Journalisten sind seit Wochen ausgebucht.»

dpa 

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